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Der
erste Tauchgang, schnuppern am
Hausriff
Zwei
Freundinnen am Roten Meer. Dazu viel Wasser,
noch mehr Sonne und vor allem eines: Zeit. Beste
Voraussetzung also, um selbst eine große Skeptikerin
in die Unterwasserwelt einzuführen.
Ein
Erfahrungsbericht von Johanna Steinkühler
Ich
und Tauchen, niemals! Zumindest bin ich noch fest davon überzeugt, als
ich mich auf meiner blau-weißen Liege in der ägyptischen Sonne aale.
Bereits vor fünf Tagen haben wir hier in Hurghada im Grand Hotel
eingecheckt, trotzdem ist es mir bisher nicht langweilig geworden. Sollen
die anderen ruhig mit dem Boot zu ihren Riffen fahren, ich genieße so
lange den weitläufigen Sandstrand und das Rauschen der Brandung. Gerade möchte
ich von einer Ananasscheibe abbeißen, da steht Ina von der angegliederten
Tauchschule Euro Divers vor mir: „Hey, Johanna, morgen um zwölf
geht’s los!“ Wie, jetzt? Klappt das doch noch mit dem
Schnuppertauchgang? Eigentlich hatte ich mich schon darauf eingestellt,
dass mir das noch einmal erspart bleiben würde. Immerhin ist die
Tauchbasis den gesamten Tag damit beschäftigt, ihre Kunden ins tiefe Blau
zu begleiten. Und darum war eigentlich kurzfristig gar kein Termin mehr für
einen Schnuppertauchgang frei gewesen. Ein Umstand, der mir genau genommen
gar nicht so unrecht war.
Angst
vor Haien
Zwar
hatte ich mich zwischenzeitlich mit den kleinen, farbenfrohen Fischen beim
Schwimmen schon angefreundet, doch auf eine Bekanntschaft mit größeren
Exemplaren kann ich liebend gern verzichten. Zu viele Bilder von bösen
Haien mit schrecklich großen, aufgesperrten Mäulern hielten mich von der
Vorstellung einer romantischen Unterwasserwelt ab. Und dann das ganze
Material! Wer kann denn garantieren, dass das alles sicher unter Wasser
funktionieren wird? Aber es hilft nichts. So schnell, wie Ina auftaucht,
ist sie auch schon wieder verschwunden. Und der Termin für morgen steht.
Da gibt es jetzt kein Kneifen mehr! Den ganzen Abend lang löchere ich
deswegen meine Freundin Sabine mit meinen Bedenken: „Wie soll ich mich
verhalten, falls plötzlich ein Hai auftaucht? Und was mache ich, wenn mir
die Luft ausgeht?“ Fragen, die sich vermutlich jeder stellt, der noch
nie „abgetaucht“ ist. Geduldig antwortet mir Sabine und erzählt viele
spannende Geschichten aus ihrer eigenen Tauchvita. Ich fühle mich fast
wie ein kleines Kind mit meinen zum Teil naiv klingenden Fragen – so,
als würde ich losgeschickt, um eine mir unbekannte Welt zu erkunden.
Fragen
über Fragen
Am
nächsten Tag ist es dann soweit. Um punkt zwölf Uhr laufe ich zur
Tauchbasis. Noch bin ich ganz ruhig. Schließlich, so viel habe ich schon
herausgefunden, wird jetzt erst einmal ein Film angeguckt. Da kann ja
nichts passieren. Clemens,
ein erfahrener Tauchlehrer von der Basis, begrüßt mich und setzt mich
wie alle anderen Anwesenden zunächst vor den Fernseher. Neben mir gibt es
noch drei weitere Kandidaten, die etwas verunsichert und aufgeregt ihrem
ersten Tauchgang ins Auge blicken: Klaus, Franz und Laura. Okay, nun
zwanzig Minuten Film. In aller Kürze werden wir in die Unterwasserwelt
eingeführt – was zu beachten sei, was man tun und lassen solle. So
erfahren wir, dass wir beim Tauchen nichts anfassen sollten und dass
grundsätzlich kein Tier gefährlich ist. Ach, und was ist mit dem bösen
Weißen Hai? „Alles Horrormärchen!“, versichert uns Clemens.
„Die Haie, denen man bei tiefen Tauchgängen begegnet, interessieren
sich nicht für neoprenverpacktes Taucherfleisch. Der gefährliche,
menschenhungrige Hai schwimmt nur in unseren Fantasien auf und ab.“ Hm,
trotzdem bin ich irgendwie nervös. Daran kann auch das nächste Video über
die Grundfunktionen unserer Ausrüstung und den richtigen Umgang damit
nichts ändern. Plötzlich ist der Fernseher aus. Was? So viel und so
schnell? Das kann ich mir nie merken. „Garantiert werde ich schon nach
dem Mittagessen alles vergessen haben“, protestiere ich. Doch Clemens
„entlässt“ uns trotzdem fürs Erste. Nächster Treffpunkt: 14 Uhr an
der Tauchschule. Unruhig gehe ich mit Sabine in die Strandbar. Sie spricht
mir Mut zu und ich vergesse die Zeit über unseren Gesprächen. Plötzlich
ist es kurz vor zwei. Jetzt aber schnell los! An der Basis angekommen,
stehen bereits alle in voller Montur da und warten auf mich. Mit viel
Geduld und Ruhe sucht Clemens
mit mir die passende Tauchausrüstung zusammen. Ich probiere den
Tauchanzug. Sitzt! Flossen: passen. Die Maske habe ich schon vom
Schnorcheln dabei. Dann kann’s ja losgehen! Auf dem Weg zum Pool kreisen
meine Gedanken. Auf welche Seite sollte das Atemgerät? Wie funktioniert
noch mal die Luftdusche und wie war das mit dem Finimeter? Oje! Doch die
Erleichterung kommt sofort: Am Beckenrand angekommen, beginnt Clemens,
uns alles noch einmal in Ruhe „live“ zu erklären. Mir fällt ein
Stein von Herzen. Er macht jeden einzelnen Schritt mehrmals vor und wir dürfen
alles „im Trockenen“ nachmachen. Dann zeigt er uns, wie wir unsere
Tarierweste an der Pressluftflasche befestigen, und jeder beginnt, sein
Equipment zusammenzubauen. Immer wieder überprüft unser Tauchlehrer Clemens,
ob wir alles richtig machen. Das Vertrauen wächst von Minute zu Minute
und langsam lassen meine Angst und meine Aufregung nach. Ich bin viel zu
beschäftigt mit meinem Material. Und als wir erstmals den Kopf unter die
Oberfläche stecken, merke ich, wie unerwartet ruhig ich auf einmal bin.
Abtauchen
im Pool
Zunächst
bleiben wir im flacheren Teil des Beckens.
Clemens gibt ein Zeichen und wir tauchen unter. Wir knien auf den
Kacheln und gewöhnen uns an das Gefühl, unter Wasser zu sein und
trotzdem zu atmen. Dann wird alles, was wir zuvor geübt haben, noch
einmal gecheckt: Haben wir die Trockenübungen verstanden? Nacheinander
gehen wir die einzelnen Übungen durch. Tatsächlich, jedes Detail
funktioniert auch unter Wasser. Am Anfang ist es ganz seltsam, den eigenen
Atem zu hören. Spontan muss ich an Darth Vader denken und lache los.
Tausend Bläschen blubbern nach oben. Ein wenig Wasser dringt in meine
Maske – ich blase sie, als hätte ich das schon hundertmal geübt,
einfach mit der Nase aus und alles ist wieder in Ordnung. Unglaublich, ich
bin seit wenigen Minuten unter Wasser und habe bereits alle Sorgen und Ängste
vergessen! Ich bin fasziniert. Immer wieder fragt Clemens,
ob alles okay sei und wir antworten mit „okay“. Dafür gibt es eigens
Handzeichen, mit deren Hilfe man unter Wasser problemlos kommunizieren –
und auch eine Menge Spaß haben – kann. So wie wir gerade. Bedenken hat
nun keiner mehr. Im Gegenteil, wir können es kaum abwarten, endlich ein
paar Fische vor die Maske zu bekommen.
Fische
in schillernden Farben – überall
Nach
einer weiteren Nacht und ein paar Minuten auf dem Tauchboot wird es dann
wahr. Sehnsüchtig habe ich auf diesen Moment gewartet. Endlich ist es so
weit: Ich stehe auf der flachen Plattform am Heck, presse meine Maske und
den Atemregler fest gegen mein Gesicht und springe. Einfach so. Ganz ohne
Angst. Es ist kaum zu fassen! Noch vor 24 Stunden wäre ich bei dieser
Vorstellung wohl kreischend davongelaufen. Jetzt jedoch lasse ich völlig
ruhig die Luft aus meinem Jacket und gehe mit den anderen tiefer und
tiefer. Innerhalb kürzester Zeit schwimmen unzählige Fische in sämtlichen
Farben um uns herum. Längst habe ich meine Welt über der Oberfläche
vergessen. Ich tauche ein in diesen neuen, bunten Kosmos, den ich bisher
nur von oben kannte. Jetzt bin ich mittendrin, Teil dieser schillernden
Welt. Alles ist ruhig und scheint in seinem eigenen Rhythmus zu leben. Wir
bewegen uns langsam und schwerelos, ergriffen von der pulsierenden Gestalt
des Korallenriffs und seinen Bewohnern. Zehn Meter Tiefe, deutet mir Clemens
an. Und doch sehe ich so nah über mir die Wasseroberfläche glitzern. Wir
ziehen langsam weiter, immer am dicht bewachsenen Riff entlang. Eine Muräne
spitzt aus einem Korallenblock, dann sehe ich fünf Rotfeuerfische und
tausend andere Flossenträger in allen nur vorstellbaren Farben und
Musterungen. Ich bin vollkommen eingenommen von dieser wuselnden
Artenvielfalt, die so nah ist und sich trotzdem durch meine Anwesenheit
nicht stören lässt. Und plötzlich verstehe ich mich selbst nicht mehr.
Ich ärgere mich geradezu, warum ich mich nicht schon viel früher dazu
aufgerafft habe. All meine Bedenken haben sich ins Gegenteil verwandelt.
Ich bin begeistert! Die Fische schwimmen auf mich zu, an mir vorbei, unter
und über mir – so, als ob ich einer von ihnen wäre. Auf meinen Atem
achte ich nicht mehr bewusst. Jegliche Angst ist wie weggeblasen. Ich bin
viel zu vertieft in diese Welt, mit der ich gerade eins zu werden scheine.
Die
Angst ist weg
Doch
dann gibt Clemens
ein Zeichen: Es ist Zeit, umzukehren. Die Zeit unter Wasser ist geradezu
verflogen. Doch es hilft nichts. Wir drehen uns und tauchen wieder am Riff
entlang zurück. Dabei bewegen wir uns gleichzeitig nach oben, Meter für
Meter. Schließlich erreichen wir wieder die Schiffsleiter. Ich tauche
auf. Mir kommt es so vor, als würde ich aus einem Raumschiff klettern,
weit hergekommen von einem anderen Planeten. Ich falle Sabine, die an Bord
auf mich wartet, um den Hals. Worte finde ich in diesem Moment keine. Aber
ich strahle übers ganze Gesicht. Der Tauchgang ist so schnell vergangen
und doch waren wir mehr als eine halbe Stunde unter Wasser. Noch wie im
Traum bringe ich an Land meine Ausrüstung zurück zur Tauchbasis. Ich
kann einfach nur „Danke,
Clemens“ sagen. Er lächelt. „Na, neues Hobby entdeckt?“ Ja,
jetzt verstehe ich die Freude daran, „abzutauchen“ in diese ganz
andere Welt; aufgenommen zu werden in diesem schwerelosen Blau. Ich fühle
mich überglücklich und bin noch den ganzen Nachmittag ganz „voll“
von diesen Eindrücken! Ob ich danach noch einmal tauchen gegangen bin?
Ja, gleich am nächsten Tag habe ich mit einem „PADI Open Water“-Kurs
begonnen. |
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